Martin Möller ist KI-Experte bei Microsoft und berät Finanzinstitute in ganz Europa beim intelligenten Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Er ist überzeugt, dass die Tätigkeit von Kundenberatern durch den Einsatz von intelligenten Tools massiv aufgewertet wird.
Wie verändert Künstliche Intelligenz aktuell die Finanzbranche?
KI gibt es schon seit Jahrzehnten und die Finanzbranche ist einer der grössten Nutzer der Technologie, im Bereich Market Research, Investment Modelling, Risikomodellierung und vor allem im Bereich Financial Crime sowie Personalisierung. KI an sich ist daher nichts Neues für unsere Industrie. Was neu ist, für uns und alle Industrien, ist generative KI (GenAI). Es handelt sich dabei um eine völlig neue Art von KI; nicht nur in der Art des Trainings und der KI-Architektur, sondern auch darin wie die Technologie Geschäftsprozesse transformieren kann und wie wir Menschen mit ihr arbeiten. Bei generativer KI ist unsere Branche zum ersten Mal diejenige, die eine neue Technologie als erste einsetzt und weltweit – inklusive in Europa – am meisten nutzt.
Wo sehen Sie das grösste Potenzial?
Es gibt drei Geschäftsbereiche, in denen fast alle Banken aktuell GenAI nutzen und signifikante Ergebnisse erzielen. Der erste ist in der Unterstützung von Kundenberatern. Berater nutzen im Durchschnitt 12-15 Systeme in ihrer Arbeit und müssen aus all diesen Informationen kombinieren, um ihre Kunden gut beraten zu können. Genau hier greifen die sogenannten Copilots, sprich GenAI-Assistenten Bankberater. Pictet war eine der ersten Banken in der Schweiz und weltweit, die mit einer solchen Lösung live gegangen ist. Gebaut in gerade einmal fünf Monaten gemeinsam mit unserem Start-Up Partner Unique. Der GenAI-Assistent ist mittlerweile für die gesamte Bank implementiert und spart den Mitarbeitern mehrere Stunden Arbeit pro Woche. Der neue «Red» Assistent von UBS geht in eine ähnliche Richtung und bringt in Echtzeit das Wissen aus über 60’000 Investment Advice- und Produkt-Dokumenten zu den Beratern, als hätten sie ihren persönlichen Researcher und Produktespezialist virtuell an ihrer Seite – und das 24/7.
Welches ist der zweite Bereich?
Der nächste für Banken relevante Bereich ist die Modernisierung der Interfaces für Kunden. Kunden wollen heute nicht mehr Klicken und Schreiben, sondern jeder App, egal ob Banking oder andere, in natürlicher Sprache sagen, was sie machen wollen. Genau das ermöglichen GenAI Interfaces wie sie zum Beispiel Rabobank, Virgin Money, Klarna und ABN AMRO bereits im Einsatz haben. Auch die Commerzbank baut gerade eine solche Lösung, und diese sogar mit einem virtuellen Avatar als Interface.
Und schliesslich der dritte Bereich?
Call Center sind zudem der dritte grosse Bereich, in dem Banken GenAI zum Einsatz bringen. Ähnlich wie Berater müssen die Mitarbeiter hier Informationen aus einer grossen Menge von Systemen rasch zusammensuchen, denn jede Minute, die man den Kunden am Telefon warten lässt, ist eigentlich eine zu viel. Im Anschluss muss das Gespräch noch dokumentiert werden, sowohl aus regulatorischen Gründen als auch für das CRM der Bank. Hier setzten Banken mittlerweile auf Generative AI. Aus dem europäischen Raum war ABN AMRO hier besonders schnell und hat einen GenAI Assistant in ihren Contact Centers bereits im Sommer 2023 etabliert. Dieser schreibt unter anderem die Berichte nach jedem Call für die Mitarbeiter vor, so dass diese dann nur noch gegenlesen und bestätigen müssen. Das waren jetzt ein paar Beispiele, wie Banken heute aktiv Generative AI einsetzen. Viele sind bereits weiter voran und nutzen GenAI auch im Compliance- und Regulatory-Bereich oder zur Produktverbesserung. Interessant ist vor allem auch die neue Welt von Agentic AI, die jetzt begonnen hat. Hier geht es nicht nur darum, Informationen zu suchen und zu generieren, sondern um AI, die Aktionen für die Mitarbeiter oder Kunden ausführen kann, indem sie die Systeme und Tools der Bank genauso nutzt, wie es ein Mensch tun würde.
Welche Aufgaben in der Finanzbranche werden langfristig von KI übernommen, und wo bleibt der Mensch unverzichtbar?
Wir haben unsere GenAI aus gutem Grund «Copilot» und nicht «Autopilot» genannt. Sie ist dafür da, den Menschen zu unterstützen, nicht ihn zu ersetzen. Was sich definitiv ändern wird, sind die Rollen, die Menschen haben – also die Art von Arbeit, die wir ausführen. Es war nie sonderlich Mehrwert stiftend oder erfüllend, täglich zwischen im Durchschnitt 15 internen System hin und her zu springen, nur um die Informationen zu finden und zusammen zu kopieren, die man braucht, um dann kompetent mit dem Kunden reden zu können. Diese Fleissarbeit übernimmt jetzt KI. Das lässt uns Menschen mehr Zeit, um über Informationen nachzudenken, statt sie zu sammeln, und um dann für unsere Kunden daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Welche technologischen Entwicklungen werden die Finanzbranche in den nächsten fünf Jahren am stärksten prägen?
KI ist und bleibt auf Platz Nummer eins aber KI selbst ändert sich auch. Heute kennen wir GenAI, schon jetzt bewegen wir uns in Richtung Agentic AI. Der Unterschied ist, dass AI Agents uns nicht nur Content generieren können – ob ein Text, Computer Code oder ein Bild – wie heutige GenAIs, sondern sie können Handlungen für uns durchführen. AI Agents können Computer ähnlich nutzen wie wir. Statt selbst im CRM, im Ecxel oder auf einer Website zu klicken und zu schreiben, übernimmt diese Aufgaben der Agent. Das ermöglicht eine völlig neue Dimension von Business Transformation. Neben der KI wird in den kommenden Jahren auch Quantum Computing von grosser Bedeutung sein. Es ist eine völlig neue Art vom Computing, die nicht mehr nur auf entweder Eins oder Null beschränkt ist und so selbst die komplexesten Probleme, an der die Menschheit sonst hunderte Jahre arbeiten würde, in kürzester Zeit lösen kann. Wichtig ist vor allem, die unterschiedlichen Technologien nicht isoliert zu betrachten. Der aktuelle Aufschwung von KI zum Beispiel ist entstanden aus der Kombination vom Fortschritten im Daten Bereich, Cloud Computing, Chip Design sowie natürlich grundlegender Forschung zu KI Modellen. Es sind diese kombinatorischen Effekte die zum «Chat-GPT Moment» vor etwas mehr als zwei Jahren geführt haben. Jetzt denke man diese Entwicklung weiter und stelle sich die kombinatorischen Effekte von KI und Quantum Computing vor!
Martin Möller, Head of AI for Financial Services EMEA, Microsoft