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Die EU-Retail-Investment-Strategie als Impuls für eine neue Finanzwelt?

Die EU entwickelt einen Regulierungsrahmen, der die Interessen der Verbraucher in den Mittelpunkt der Kleinanlegerinvestitionen stellen soll. Sie will damit Kleinanleger (d. h. «Verbraucher») in die Lage versetzen, Anlageentscheidungen zu treffen, die ihren Bedürfnissen und Präferenzen entsprechen, und so sicherstellen, dass sie fair behandelt und angemessen geschützt werden. Das Vertrauen in Investitionschancen soll erhöht werden, sodass die Anleger die Vorteile der EU-Kapitalmarktunion voll ausschöpfen können.

Hintergrund ist, dass die Beteiligung der Verbraucher-Anleger an den EU-Kapitalmärkten traditionell niedriger liegt als beispielsweise in Ländern wie den Vereinigten Staaten – trotz einer sehr hohen Sparquote der Europäer. Die Stärkung der Kapitalmarktunion dient darüber hinaus dazu, private Mittel in die Wirtschaft zu leiten und den grünen und digitalen Wandel zu finanzieren.

Besondere Aufmerksamkeit im Kontext der Retail Investment Strategy (RIS) hat zuletzt die Diskussion um Provisionsregelungen gefunden. Doch der Regulierungsrahmen umfasst weit mehr Themen.

Geht die Eignungs- und Angemessenheitsprüfung zulasten der Flexibilität?
Wesentliche Bausteine der Regulierung werden die Vorgaben zur Eignungs- und Angemessenheitsprüfung sein. Sie erfordern eine Erhebung und Einordnung der Kundeninteressen sowie einen entsprechenden Abgleich mit Produktmerkmalen, um ein «mis-selling» zu vermeiden. Details stehen auch hier noch aus, doch die Regulierungspraxis in verschiedenen Ländern zeigt, dass es eine Tendenz zu sehr kleinteiligen Definitionen von Kundenklassen bzw. Zielmärkten gibt. Dies kann dazu führen, dass sehr konkret auf bestimmte Bedürfnisse zugeschnittenen Produkten die Flexibilität zur Anpassung an eine sich verändernde Lebenssituation des Kunden fehlt.

Vorteile für Digitalisierung und Qualifikation
Während der Fokus der RIS auf die digitale Informationsbereitstellung eine sinnvolle Verbesserung darstellt, könnten Erweiterungen im Bereich der Informations- und Transparenzpflichten dazu führen, den ursprünglich identifizierten «Information Overload» eher noch zu verstärken. Hier hat sich auch die deutsche Finanzmarktaufsicht bereits mahnend zu Wort gemeldet. Zusätzliche Anforderungen an die Qualifikation der Berater allerdings dürften nicht zuletzt auch für die Reputation der Branche hilfreich sein, auch wenn die Zulassungsvoraussetzungen für Berater in den vergangenen Jahren bereits massiv angehoben wurden.

Hoher Umsetzungsaufwand, verschärfter Wettbewerb
Die neuen Regelungen werden mit Sicherheit den Aufwand für Schulung, Beratung und Dokumentation weiter erhöhen. Zugleich wird eine zunehmende Vereinheitlichung der Produkte tendenziell zu einer Verengung des Marktes und damit zu einem verschärften, auf Rendite fokussierten Wettbewerb führen.

Im Ergebnis kann die RIS den europäischen Finanzmarkt substanziell verändern und somit durchaus ein Impuls für «eine neue Ära in der Finanzwelt» sein. Doch zurzeit werden die Regelungen noch diskutiert. An ihren Details wird zu messen sein, ob das Ziel einer besseren Beteiligung der Verbraucher am Kapitalmarkt und damit auch eine Verbesserung der Altersvorsorge tatsächlich erreicht wird.

Wo wir stehen und welche Herausforderungen die Investment- und Versicherungsbranche erwarten, diskutieren wir auf dem Workshop der PrismaLife: «EU-Kleinanlegerstrategie: Risiko oder Chance?».

Holger Beitz, CEO PrismaLife