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Digitalisierung und Unabhängigkeit – ein Spannungsfeld

Die zunehmende Digitalisierung vernetzt die Welt und schafft neue Abhängigkeiten. Ein Kleinstaat wie Liechtenstein ist besonders gefordert, flexibel auf diese Herausforderungen zu reagieren.

 

Das vergangene Jahr hat Digitalisierung in jedem noch so kleinen Büro oder Betrieb zum Thema gemacht. Digitalisierung verspricht Unabhängigkeit von Ort und oft auch Zeit und vernetzt die ganze Welt, macht aber im Gesamten auch verstärkt abhängig. Zunehmende Abhängigkeit geht einher mit einem Verlust an Stabilität. So hat sich gezeigt, dass ein querstehendes Containerschiff im Suezkanal oder eine falsch eingeschätzte Nachfrage heutzutage Fabriken zumindest zeitweise stillstehen lassen. Ein anderes Beispiel für neue Abhängigkeiten im technischen Bereich: Durch die Umstellung auf internetbasierte Telefonie sind zeitweise Notfallnummern, die seit Jahrzehnten immer erreichbar waren, plötzlich nicht mehr erreichbar.

Daten gewinnen an Wert

Vergegenwärtigt man sich etwa die Chipproduktion in Taiwan, lässt sich unschwer erkennen, dass der Klimawandel (konkret erstmals ausbleibende Niederschläge mit entsprechenden Auswirkungen auf die Stromversorgung) nicht erst kommende Generationen behelligt, sondern bereits heute vehement in die Lieferketten eingreift. Da die Industrie im Bereich der Digitalisierung und Arbeitsteilung im Vergleich zu anderen Branchen weit fortgeschritten ist, dürfen ähnliche Entwicklungen und Abhängigkeiten demnächst auch im Finanzbereich erwartet werden. Es gilt Lösungen zu finden, die nicht nur Kundennutzen stiften, sondern auch möglichst unabhängig funktionieren und dabei auch noch Rücksicht nehmen auf den Klimawandel. Ein solcher Lösungsansatz wurde mit der Blockchain-Technologie versucht. Noch ist offen, ob und wie sich dieser spannende Ansatz durchsetzen kann, das Potential ist jedenfalls enorm.

Eine Verlagerung, die sich schon länger abzeichnet ist die zunehmende Mobilität und Werthaltigkeit der Daten. Nicht umsonst sind fünf der sechs grössten Unternehmen – bezogen auf ihren Marktwert – datenorientierte Unternehmen. Somit lehne ich mich wohl nicht zu weit aus dem Fenster hinaus, wenn ich angesichts dieser Entwicklungen die Prognose wage, dass auch im Finanzsektor jene Bereiche am meisten wachsen werden, dessen Geschäftsmodell sich an der Werthaltigkeit der Daten ausrichten und diese auch zu schützen wissen. Das setzt sehr viel Know-how voraus und es wird spannend sein zu beobachten, ob Liechtensteins besondere Stärke der Stabilität und Sicherheit im datenorientierten Zeitalter Bestand haben wird. Das Blockchain-Gesetz kann hier als ein erster kleiner Anfangsschritt in diese Richtung gedeutet werden. Die Regulierung dieses Bereichs schafft zudem Rechtssicherheit. Der hohe Stellenwert der Aus- und Weiterbildung und die internationale Ausrichtung versetzt uns in eine gute Startposition.

Autonomie und Souveränität

In eine etwas andere Richtung geht die internationale Regulierung. Diese strebt nach grösstmöglicher Auswirkung, versucht also inhärent Abhängigkeiten zu schaffen. Überspitzt gesagt: Es genügt etwa ein Treffen der G7-Staaten – und gewisse Konstellationen – und schon bald werden weltweit tiefe Unternehmenssteuersätze faktisch verunmöglicht werden. Ob die angestrebten Ziele auf diese Art wirkungs- und sinnvoll erreicht werden können, ob es bessere Möglichkeiten gibt, die angestrebten Ziele zu erreichen, sind in der Folge keine Fragen mehr, die sich ein Nationalstaat, der nicht zu den G7 gehört, künftig noch vernünftig stellen kann, wenn diese Art der Regulierung zum Standard wird. Der Mächtigere entscheidet oder hat schon entschieden. Gerade für einen Kleinstaat, der gewohnt ist, auf Herausforderungen flexibel reagieren zu können, ist diese in letzter Zeit überhandnehmende Art der Regelsetzung eine besonders herausfordernde Entwicklung. Es ist bei aller Wertschätzung des Nutzens vieler internationaler Standards zu hoffen, dass künftig Regulierung wieder dorthin verlagert wird, wo sie auch ihre Wirkung entfaltet – also zu den regionalen und nationalen Gremien. Wir brauchen weniger und nicht mehr Abhängigkeiten und ein ausreichendes Mass an Autonomie und Souveränität. Zentralstaatliche Autoritätsgläubigkeit mag in gewissen Gebieten gebührlich sein – im Herzen Europas fällt diese Erwartungshaltung jedoch nicht unbedingt auf fruchtbaren Boden. Die Geschichte lehrt, dass hier weniger mehr ist.

Ivo Elkuch
Geschäftsführer Liechtensteinische Treuhandkammer