Die Finanzwelt von morgen wird nicht von gestern geprägt sein. Künstliche Intelligenz, globale Unsicherheiten und ein wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit zwingen uns zum Umdenken. Die Frage ist nicht, ob wir uns verändern, sondern wie schnell und wie klug.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat eine sicherheitspolitische Zeitenwende eingeläutet. Die westlich geprägte Sicherheitsarchitektur wird herausgefordert wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Statt Multilateralismus herrscht wieder Blockdenken. Statt Demokratie gilt wieder die Macht des Stärkeren. Und in diese Gemengelage beginnt mit dem Amtsantritt von Donald Trump im Weissen Haus eine weitere Zeitenwende. Deals scheinen wichtiger zu sein als Abkommen. Drohungen gelten nun plötzlich als legitime Instrumente zur Durchsetzung der eigenen Politik. Kurz: America first ist die neue Lösung.
Wie reagiert nun Europa auf die Zangenherausforderung? Bis anhin wie gewohnt: Empörung, kluge Beschreibungen, Absichtserklärungen und Beschwörung einer Einheit, die es schon länger nicht mehr gibt. Oder simpler ausgedrückt: der alte Kontinent verharrt in Schockstarre. Wirtschaftlich sieht es ähnlich trist aus. Die grossen Staaten in Europa sind hoch verschuldet und leiden unter einer überbordenden Bürokratie und einer Innovation und Unternehmertum hemmenden Regulierungsdichte. Der Sozialstaat wurde mit der Giesskanne immer weiter ausgebaut – auf Kosten einer maroden Infrastruktur und nicht mehr einsatzfähigen Armeen. Die Herausforderungen an die Politik sind so gross wie wahrscheinlich noch nie seit dem zweiten Weltkrieg. Priorisierungen bei den Ausgaben, schmerzliche Einschnitte beim Sozialstaat und deutlich höhere Ausgaben für Infrastruktur und Militär sind angezeigt. Es bleibt abzuwarten, ob die neue Regierung in Deutschland die Kraft und Weitsicht hat, nicht bloss weitere Schulden zu machen, sondern endlich Strukturreformen anzugehen. Es muss Europa zu denken geben, dass Künstliche Intelligenz (KI) einmal mehr in den USA marktreif entwickelt wurde und der erste ernstzunehmende Herausforderer aus China stammt. Europas einziger Beitrag zur Weiterentwicklung von KI sind bis anhin eine Regulierung und laufend vorgebrachte Bedenken. Das genügt nicht.
Was bedeutet dies nun für die Wirtschaft und insbesondere die Finanzbranche? Die Weltwirtschaft ist eng verflochten. Konflikte wie der Krieg in der Ukraine, die Spannungen zwischen den USA und China oder die Möglichkeit eines Wettlaufs um Strafzölle belasten den Welthandel und somit den Wohlstand. Bewegen wir uns weiter auf dieser schiefen Bahn, wird es keine Gewinner geben. Ich hoffe, dass die neue US-Administration sich dem rasch bewusst wird.
Ich denke, eine neue Ära hat begonnen. Ein radikales Umdenken ist nötig. Für Europa bedeutet es sicher eine strategische Neuausrichtung: weniger Bürokratie, mehr Pragmatismus, um global wettbewerbsfähig zu bleiben und gleichzeitig nachhaltige Werte zu schaffen. Und hier sehe ich einige Lichtblicke. So scheint man auf EU-Ebene erkannt zu haben, dass die Regulierungsdichte abgebaut werden muss und wieder mehr Verantwortung zu den Unternehmen übergehen soll. Es braucht nicht keine Regulierung, sondern eine kluge, verhältnismässige, die Innovationen fördert. Gerade für kleine, global vernetzte Finanzzentren wie Liechtenstein ist dies essenziell.
Für den liechtensteinischen Bankensektor bedeutet diese Zeitenwende, dass Flexibilität und Innovationskraft mehr denn je gefragt sind. Als kleines, aber international gut vernetztes Finanzzentrum profitiert Liechtenstein von stabilen Rahmenbedingungen, einem soliden Rechtssystem und offenen Märkten. Nebst einem hohen Mass an Resilienz muss der Finanzsektor noch agiler werden, indem er verstärkt auf technologische Innovationen setzt, nachhaltige Finanzprodukte entwickelt und sich als verlässlicher Partner in einem immer volatileren Umfeld positioniert. Es gilt, die Balance zwischen regulatorischer Sicherheit und wirtschaftlicher Freiheit zu wahren, um Innovationen nicht im Keim zu ersticken. Zusätzlich muss der Bankensektor auf die sich wandelnden Kundenbedürfnisse reagieren. Die jüngeren Generationen fordern verstärkt nachhaltige Investitionen, transparente Finanzprodukte und digitale Services. Banken müssen daher Geschäftsmodelle überdenken und verstärkt auf ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) setzen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Insgesamt wird die liechtensteinische Finanzbranche nur dann erfolgreich bleiben, wenn sie proaktiv auf Veränderungen reagiert, technologische Fortschritte nutzt und sich strategisch an die neuen geopolitischen und wirtschaftlichen Realitäten anpasst.
Hans-Werner Gassner, Präsident, Liechtensteinischer Bankenverband