Der Boom der KI treibt nicht nur die Fantasie der Tech-Industrie, sondern auch die Ideenschmieden zur Prozessverbesserung in vielen Branchen der sogenannten „Old Economy“. Tatsächlich dürfte es gerade in der Finanzdienstleistung fast keine Prozesse geben, in denen nicht in irgendeiner Form KI-Unterstützung denkbar und umsetzbar ist.
In vielen Bereich ist dies schon Realität und die KI leistet bereits ihre Dienste. Gerade Versicherungsunternehmen mit teilweise sehr langlaufenden Verträgen sitzen auf einem enormen Datenschatz. Doch dessen Erschliessung ist nicht trivial. Am Anfang steht nicht die Disruption, sondern die Evolution. Im ersten Schritt geht es darum, die Datenvielfalt zu zähmen, die bislang weder klar strukturiert noch technisch einheitlich erschliessbar war.
KI eignet sich, auch unstrukturierte Informationen aus verschiedenen Datenquellen zu verarbeiten, daraus relevante Inhalte zu extrahieren und aufzubereiten. Das erlaubt eine sehr konkrete Anwendung auf Basis eines definierten Kontextes, der vom Anwender klar definiert und eingegrenzt werden kann.
Die PrismaLife AG hat ein Projekt ins Leben gerufen, das an der Tarifvielfalt in der Lebensversicherung ansetzt. Gesetzliche und regulatorische Anforderungen, veränderte Kapitalmarktbedingungen oder neue Kundenbedürfnisse führen immer wieder zu Anpassungen der Tarife, sodass ständig neue Tarifgenerationen entstehen. So kommen im Laufe der Zeit hunderte verschiedene Tarife zusammen, die sich mehr oder weniger stark voneinander unterscheiden. Hinzu kommt: Versicherungsverträge sind in der Regel langlaufende Verträge. Mit Anspar- und Rentenphase kann die Laufzeit durchaus 50 bis 60 Jahre betragen.
Während der Laufzeit der Vertragsbeziehungen, kommen aber immer wieder Fragen zu den konkreten Vertragsbedingungen auf, die zum Teil auf den sehr alten Bedingungswerken beruhen. Das erhöht die Komplexität und die Fehlerquote in der Bearbeitung zusätzlich, besonders für neue Mitarbeitende, die sich in der Einarbeitung befinden. Denn die Mitarbeitenden müssen dann auf das im konkreten Fall historisch richtige Bedingungswerk zugreifen und die entsprechenden Regelungen richtig anwenden, beispielsweise für die Zuzahlung in einen Vertrag.
Diese Recherche- und Vergleichsaufgaben sind perfekt geeignet, um mit KI eine erste Aufbereitung zu erstellen. Dazu wird die KI mit dem kompletten historischen Bestand an Tarifen bzw. Bedingungswerken gefüttert. Die KI wird dann die für die Vertragsverwaltung massgeblichen Informationen für jeden Tarif herausfiltern, sodass diese dann bei der Bearbeitung von Verträgen direkt zur Verfügung stehen. Eine solche Vorarbeit kann immensen personellen Aufwand ersparen, auch wenn letztlich weiterhin ein fachlich versierter Mensch auf die Ergebnisse schauen und sie prüfen muss. Weitere Ausbauschritte könnten die Formulierung eines Antwortschreibens auf eine Anfrage und schließlich sogar die Umsetzung des Vorgangs im Bestandsverwaltungssystem sein.
Mit Anwendungsbeispielen wie diesem startet die Branche in eine neue Welt. Längerfristig sind noch weitergehende Anwendungsfelder denkbar, die aufgrund ihrer Komplexität bislang kaum erschliessbar waren. Ein Aspekt wäre zum Beispiel die stärkere Individualisierung der Betreuung im Rahmen des laufenden Vertrages, um auf Veränderungen der Kundenbedürfnisse zu antizipieren und mit geeigneten Hinweisen, zum Beispiel zur Fondsauswahl, zu versehen. So wird eine dynamische Unterstützung des Kunden bei der Anpassung der Investments nach seinen jeweiligen Präferenzen sowie aufgrund von Veränderungen seiner Lebenssituation stark vereinfacht werden. Aktuell sind hier sicher erhebliche regulatorische Schranken zu berücksichtigen, doch die Entwicklung der Anwendungsmöglichkeiten ist rasant: Etwas „Moonshot-Thinking“ sei erlaubt. KI in der Lebensversicherung muss also beides sein: Evolution im Sinne einer Produktivitäts- und Qualitätssteigerung und zugleich ein Werttreiber durch die Erweiterung der kundenindividuellen Nutzenpotenziale sowie die Optimierung ihrer Vorsorgestrategien.
Wie gross das Potenzial ist und wie hoch die Hürden bei der Umsetzung sind, diskutieren wir in unserem diesjährigen Workshop beim Finance Forum Liechtenstein. Referentin Dr. Jutta Krienke wird über aktuelle Umsetzungen und Anwendungsbeispiele berichten, aber auch den Blick auf die grossen Ziele richten. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.
Holger Beitz, CEO PrismaLife AG