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Wandel durch Handel hat nicht funktioniert

Christoph Heusgen war aussenpolitischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel und ist nun Direktor der Münchner Sicherheitskonferenz. Er beleuchtet am Finance Forum Liechtenstein die geopolitische Zeitenwende und erklärt die Folgen für Wirtschaft und Politik.

Herr Heusgen, der Krieg in der Ukraine beherrscht die aktuellen Agenden in Politik und Wirtschaft. Wie sehr hat die russische Invasion eine geopolitische Zeitenwende eingeläutet?

Christoph Heusgen: Mit dem Überfall auf die Ukraine hat Wladimir Putin einen Zivilisationsbruch begangen. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg verneint ein europäischer Staat das Existenzrecht eines anderen. Dies ist eine Zeitenwende in Europa, aber hat auch geopolitische Konsequenzen.

Sie fordern ein konsequentes Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft zur Unterstützung der Ukraine. Warum ist eine klare Haltung Ihrer Ansicht nach so bedeutsam?

Letztlich geht es darum, ob sich auf der Welt das Recht des Stärkeren durchsetzt oder die Stärke des Rechts. Deswegen ist es so wichtig, dass Putin mit seinen schweren Völkerrechtsverletzungen scheitert und zur Rechenschaft gezogen wird.

Welche Rolle spielt dabei in Ihren Augen das internationale Finanzsystem?

Auch das internationale Finanzsystem ist Teil der internationalen regelbasierten Ordnung. Nach Russlands massivem Angriff auf diese Ordnung war es wichtig, das auch das internationale Finanzsystem mit dem Ausschluss Russland aus dem SWIFT-System konsequent reagierte.

Viele Firmen haben in der Vergangenheit geopolitische Risiken tendenziell vernachlässigt. Wie sollten Unternehmen auf diese neuen Herausforderungen reagieren?

Wir befinden uns in einem Systemwettbewerb zwischen China und Russland auf der einen und der transatlantischen Gemeinschaft auf der anderen, deren Anliegen es ist, die auf der Charta der Vereinten Nationen beruhenden internationalen Ordnung zu schützen. Zu diesem Zweck wird auch auf das Instrument der Wirtschaftssanktionen zurückgegriffen. Diese erfassen viele Unternehmen, und sie sind gut beraten, geopolitische Entwicklungen bei ihren Entscheidungen vermehrt in den Blick zu nehmen.

Westliche Staaten haben lange an der Maxime von «Wandel durch Handel» festgehalten. Inwiefern zeigt sich nun, dass dies ein Irrtum war?

Mit Russlands Überfall auf die Ukraine sind viele alte Gewissheiten über Bord geworfen worden, auch die, dass Handel Wandel bewirkt. Das hat letztlich in Russland nicht funktioniert, und – das ist wichtig – funktioniert auch nicht gegenüber China.

Die aktuellen Entwicklungen verschärfen auch den politischen Ton zwischen den USA und China. Droht hier ein neuer Kalter Krieg zu entstehen?

Ja, die Gefahr besteht! Sollte die Volksrepublik China ihre Ankündigung wahrmachen und Taiwan militärisch einzunehmen versuchen, wird es zu einem Wirtschaftskrieg kommen, bei dem am Ende alle als Verlierer dastehen werden.

Wie sollte sich Europa in diesem Wettstreit zwischen den USA und China positionieren?

Wir sollten uns auf die Seite des Rechts stellen und Mahner für die Beachtung des Völkerrechts bleiben. Dabei müssen wir uns vermehrt um die Staaten des „Globalen Südens“ bemühen, die allzu häufig eine äquidistante Haltung einnehmen.

Welche Rolle können dabei neutrale Kleinstaaten wie Liechtenstein oder die Schweiz spielen?

Bei der Frage der Geltung des Internationalen Rechts kann es keine neutrale Haltung geben. Ich begrüsse es deswegen ausdrücklich, dass Liechtenstein beim Thema der Verhinderung von Straflosigkeit weltweit eine Führungsrolle einnimmt. So kann ich Liechtenstein auch nur ermuntern, im Zusammenhang mit der russischen Aggression gegenüber der Ukraine die Einsetzung eines durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen mandatierten Sondertribunals weiterzuverfolgen. Es kann und darf nicht sein, dass sich der Verursacher millionenfachen Leids in der Ukraine und weit darüber hinaus mit dem Hinweis auf seine Immunität als Staatsoberhaupt der Justiz entzieht. Wladimir Putin muss sich früher oder später für den von ihm verursachten Zivilisationsbruch vor Gericht verantworten!

Christoph Heusgen
Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz